Weimar im Wandel

Die Transition-Town-Initiative für Weimar.

Wanderung am Wilden Graben

Wir trafen uns am Samstag, den sehr warmen 20. Oktober, früh an der Bushaltestelle Wielandplatz und fuhren gemeinsam gen Gelmeroda. Dort angekommen, suchten wir den Quellort des Wilden Grabens auf, im Dorf, am Rand der großen Straße die nach Weimar führt.

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Die Quelle entspringt unter einem künstlichen Hügel, umzäunt und gepflegt von der Wasserwirtschaft, die dort wohl auch Wasser abnimmt.

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Nach kurzer Apfelernte am Wegesrand folgten wir dem Bachlauf im Wald, jenseits der Straße, bergab in Richtung Weimar. Hier oben finden sich zwar Zivilisationsspuren: Gelegentlich z.B. ein leichter Film auf dem Wasser und verschiedener Müll – diese trübten aber nur leicht den sonst äußerst vitalen Eindruck des Baches.

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Es war wunderbar, in diesem wild wachsenden Wald ein munter mäandrierendes Gewässer mit Qualitäten des Anstauens, Ruhens und Weiterfließens, und das Wirbeln um Widerstände herum zu erleben. Teilweise war erkennbar, dass der Wilde Graben  zu anderen Perioden auch deutlich mehr Wasser führt. Die vielen Kinder in unserer Gruppe fühlten sich besonders wohl in diesem offenbar sehr ursprünglich belassenen Wald, in dem dickes Moos wuchs auf uralter Borke, und kreuz und quer wuchtige Stämme lagen und knorrige Wurzeln ragten, die natürlich zum Kraxeln und Klettern einluden und nicht selten als natürliche Brücke über den Bach dienten. Wenn auch der Wald an sich eher einen relativ schmalen Streifen darstellt, und die Straße sich immer in relativer Nähe befand,  war es doch sehr beeindruckend, wie intensiv und erholsam das vollständige Eintauchen in diese naturbelassene Welt war.

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Nach einer Rast am munter plätschernden Bach, unter leuchtend gelben Blättern durch die eine sehr warme Herbstsonne schien, verließen wir den Wald und liefen weiter entlang der Führung des Baches zwischen den Feldern in Richtung Historischer Friedhof. Auf dieser Strecke musste man das Wasser schon wieder suchen, ohne Verschattung und sehr stark eingeengt, erinnerte es streckenweise eher an eine Pfütze.

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Auch Feldrand, oberhalb des Friedhofs, läuft das Flussbett weiter in einen tatsächlich tiefen Graben, für Thüringer Verhältnisse geradezu Schlucht zu nennen, der wieder von einem Streifen Wald gesäumt ist.

Nach einer ausgiebigen Mittagspause auf der Wiese an der Friedhofsmauer mit Salat, Schläfchen (die Erwachsenen) und dem eifrigen Sammeln von hier abgelagerten Schieferplatten (die Kinder) ging es mit frischen Kräften weiter.

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Wir liefen am Grunde des Grabens über raschelndes Laub, hier und da konnte man Feuchtigkeit wahrnehmen, aber Wasser floß nicht, wohl aber konnte man Spuren entdecken von durch Strömung zusammen geschobenem Laub, dort muss vor kurzem noch Wasser geflossen sein, und wird sicher bald wieder fließen, wenn Herbstnebel und Regen neue Feuchtigkeit bringen. Doch hier und jetzt war es trocken. Bis zum Haupteingang des Friedhofs verläuft das Landschaftsschutzgebiet wilder Graben parallel zur Friedhofsmauer, beim Haupteingang mündet das Flussbett in die unterirdische Kanalisierung. Wir liefen weiter durch die Stadt.

Der Wilde Graben führte auch früher zeitweise kein Wasser – aber wenn, dann richtig.

So leitet sich der Name ab: Der Bach war wegen seiner Kraft berüchtigt. Er floss weiter durch die sogenannten „Krautländer” (vormals die Gärten außerhalb der Stadtmauer) und überschwemmte diese regelmäßig. Heute kann man diesen weiteren Verlauf ungefähr in der Steubenstraße, der unteren Humboldtstraße, der Schubertstraße verorten.

Der Wilde Graben war ein Nebenfluss der Lotte, d.h. heißt, er mündete einst in diese (ungefähr im Bereich des Sophienstiftplatzes). Am hier befindlichen Entenfang (seit 1400) lässt sich die Geschichte der Lotte und des Wilden Grabens gut erzählen.

Wir erinnern uns: Die Lotte, größte der Ilm-Zuflüsse im Weimarer Stadtgebiet, verlief früher durch den Stadtkern. Bei Hochwasser wurde ein Teil in das Grabensystem um die Stadtbefestigung herum geleitet. Das schon bei der letzten Wanderung  angesprochene Wasserbauwerk zur Entlastung der Lotte konnte nun erklärt werden: Dabei handelte es sich um eine Art Wasserbrücke, über die das überschüssiges Wasser (statt durch die Innenstadt hindurch) in die Grabensysteme der Stadtbefestigung geleitet werden konnte. Doch weder damit, noch durch die kanalartige Verzweigung der Lotte durch die Gassen der Altstadt (dem sog. „Lottensystem“), konnte man der Wucht des gelegentlichen Hochwassers Herr werden.

Darum trennte man genau an dieser Stelle die beiden Bäche (Lotte und Wilder Graben) künstlich voneinander ab. Die Lotte lief in Richtung des heutigen Theaters in die Stadt hinein. Der Wilde Graben floß durch die heutige Hummelstraße ab („Entenfang”). Nachdem die Lotte schon vor Goethes Zeiten in der Innenstadt „gedeckelt“ wurde, leitete man sie ab 1880 ebenfalls in den„Entenfang”. So gab es bei Trockenheit immer wieder auch Zeiten, wo dort nicht das Wasser des Wilden Grabens, sondern nur das der Lotte lief. 1928 beim Bau des Schwanseebades und des heutigen Weimarhallenparks, leitete man die Lotte großflächig um, um diese Anlagen zu speisen. Das Wasser des Asbaches (der dort ja näher gewesen wäre) schien schon damals nicht sauber genug für diesen Zweck..

Doch zurück zum Wilden Graben:

Heute fließt der Bach – wenn er fließt – verrohrt durch den ehemaligen Schützengraben (unter der heutigen Schillerstraße) und zweigt dann kurz vor der Anna-Amalia Bibliothek Richtung Tiefurt (Kläranlage) ab.

Das ist auch geschichtlich gewachsen. Zuerst wollte man das dazumal dreckige Wasser nicht mehr in der Spaziergegend an der Anna Amalia Bibliothek in die Ilm einleiten und hat es bis nach dem Schloss wieder der Lotte zugeführt, später wurde der Kanal bis zur Kläranlage nach Tiefurt weitergeführt.

Weil der Bach eben gelegentlich so wild war und um sicherzustellen, dass er nicht in die Lotteniederung abfließen konnte, wurde ein recht beeindruckendes Wasserbauwerk geschaffen: Zwischen Fürstentor und Frauentor war der Stadtgraben (Schützengraben) an der  Böschungskrone 15 m breit. Der außergewöhnlich große Querschnitt diente auch dem militärischen Schutz. Das Grabensystem liegt heute bis zu 6 m unter Straßenniveau. Der hohe Ausbaugrad des Frauentores und der südlichen Stadtmauer war eine Folge des reichlich anfallenden Gesteinsmaterials.

Der Schützengraben wurde im 19.Jhr. überwölbt. Die Überwölbung war durch den penetranten Geruch und  Krankheitsgefahr durch Verunreinigungen notwendig geworden. Die Gewölbedimension beträgt bis zu 5,80 m lichte Breite unter der heutigen Puschkinstraße und bis zu 3,73 m lichte Höhe unter der Frauentorstraße. Diese Dimension wird erklärbar mit der reißenden Kraft des Wilden Grabens. Bei geschichtlich belegbaren Überschwemmungen waren auch Todesopfer im Bereich des Frauentores zu beklagen. Der Schutz durch dieses kostspielige Projekt wurde durch Beiträge der anliegenden Grundstücksbesitzer finanziert.

Beispiele solcher Wasserbauwerke aus dem Mittelalter in anderen Thüringer Städten gibt es reichlich. Es wurden weder Kosten noch Mühen gescheut.

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Nachdem wir durch die Gropiusstraße dem Verlauf des Wilden Grabens gefolgt waren, gingen wir durch die Hummelstraße entlang des ehemaligen „Entenfangs“ um dann auf die Schillerstraße zu Stoßen, die heute den Verlauf des ehemaligen Stadtgrabens folgt. Nach einem Eis spazierten wir weiter durch die Puschkinstraße hinunter zum Regenwasserüberlauf unterhalb der Anna Amalia Bibliothek, direkt an der Ilm. Das „reguläre“ Wasser wird parallel zur Ilm in Richtung Kläranlage geleitet.

Vor unserer Wasserwanderung hatte man mir gesagt, dass in dem Grabensystem nur noch bei Hochwasser das Wasser des Wilden Grabens fließt und direkt aus diesem Austritt nur noch Wasser in die Ilm fließt wenn es richtig schüttet. Bei Überschwemmungsgefahr kann so die Kläranlage entlastet werden. Sicher lohnt sich auch dann mal ein Gang dahin.

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Doch nun waren wir erstaunt, als wir da unten doch Wasser strömen hören und sehen konnten. Es kam uns direkt entgegen und bog kurz vor dem Tor Richtung Tiefurt ab. Es stank gewaltig und war sicher von etlichen ungeklärten Abwässern verunreinigt. Doch war überraschend, dass nach dem traurig- trockenen Bild am Friedhof hier überhaupt Wasser in so einer Menge floss, nach dieser langen Phase der Trockenheit.

Es wäre schön, dieses Grabensystem einmal zu erleben. Durch einen „mitlaufenden” Tontechniker entwickelte sich auch die Idee eines multisensuellen Ereignisses in diesem mittelalterlichen Kulturdenkmal.

So endete unsere Tour.

Wir konnten auf diesen Spaziergängen die Stadtbäche näher verorten und auch ansatzweise Atmosphären von vital fließendem Wasser erleben.

Alle geschichtlichen Informationen konnten nur oberflächlich wiedergegeben werden. Sie basieren auf der Grundlage der Forschungen Axel Stefeks. Bei Interesse hier der Verweis auf entsprechende genauere Literatur in den Weimarer Stadtbibliotheken.

Jetzt können Ideen weiterentwickelt werden. Wie können wir überraschend und interessant auf diese Zuflüsse der Ilm aufmerksam machen? Wie können wir diese Atmosphären in unserem Stadtraum erleben, ein Stück Natur in unsere selbstgeschaffene Lebenswirklichkeit transportieren? Können wir auch für eine Klärung der Gewässer sorgen?

Ich freue mich auf weitere interessantes Forschen und Mitgestalten unserer Stadt in Bezug auf das Wasser.

Manu

+ Alex

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